Titelstory

«EIN REGISSEUR IST IMMER AUCH PSYCHOLOGE, FREUND, ONKEL, VATER – ALLES MÖGLICHE.» ROLF LYSSY

Eden Für Jeden – Jedem Siis Gärtli

Kinostart

1. Oktober 2020

Regie

R. Lyssy

Cast

S. Friis, M. Sway

Genre

Comedy (1h30)

Verleiher

Ascot Elite

Nirgends ist die Schweiz so multikulti wie in Schrebergärten. Das erfährt auch Nelly, die für ihre demente Grossmutter sorgt. Die alte Dame ist am liebsten im Familengarten Eden, wo ein italienischer Präsident pingeliger als ein Schweizer herrscht. Doch die Pächter wollen nicht alles reglementieren. Auch der Brasilianer Paolo nicht, der unerlaubterweise im Gartenhäuschen wohnt und sich mit Nelly und ihrer Oma anfreundet…

«Schweizermacher»-Regisseur Rolf Lyssy ist 84 und dreht immer noch. Am Zurich Film Festival 2020 erhielt er den Preis für sein Lebenswerk.

FILM DEMNÄCHST: Kannst du in zwei Sätzen sagen, worum es in EDEN FÜR JEDEN geht?

Rolf Lyssy: Der Film erzählt eine Familiengeschichte, die mehrheitlich in einem Schrebergarten spielt. Dieser Ort steht sinnbildlich für die Multikulti-Gesellschaft der heutigen Schweiz.

Einmal sagt die Frau des Schrebergarten-Präsidenten: «Du musst einfach schauen, dass jeder zu seinem Recht kommt, dann kommt sicher nichts Rechtes dabei heraus.» Ist das Rolf Lyssys Kritik am Föderalismus der Schweiz?

Oh mein Gott! Das kann ich nur bedingt bestätigen. Es ist vielmehr ein augenzwinkernder Hinweis auf unsere ur­schwei­zerische Kompromiss-Kultur, unsere Konsens-Demokratie. Man kann es nun mal nie allen recht machen.

Die Hauptdarstellerin Steffi Friis ist  als Nelly eine Entdeckung. Wie kamst du auf sie?

Ich kannte sie gar nicht, dann hatte sie in meinem letzten Film «Die letzte Pointe» (2017) eine 90-Sekunden-Rolle. Und ich war hin und weg. Das ist nun ihre erste Hauptrolle. Du glaubst nicht, wie es mich freut, dass Steffi nun zeigen kann, was sie kann und wer sie. Es gibt nichts Beglückenderes, als mit begabten und intelligenten Schauspielern zusammenzuarbeiten.

Warum trägt Nelly so schräge Kostüme?

Ich wollte, dass sie etwas verrückt wirkt. Nelly ist eine junge Frau von heute, die autonom, selbständig und selbstsicher ist. Es ist ja nicht selbstverständlich, dass eine Enkelin für ihre Grossmutter sorgt. Nelly ist eine Frau mit Charakter. Den ganzen Tag steckt sie in der Uniform der Bus-Chauffeuse. Die will sie nach Feierabend ausziehen und sich selbst sein. Das ist der Grund für ihre ausgefallene Garderobe.

Und wie kamst du auf die Idee, den Sänger Marc Sway zu casten?

Während des Schreibprozesses war mir plötzlich alles zu dramatisch, deshalb wollte ich eine Figur, die Musik macht und alles etwas auflockert. An einer Sitzung mit dem Fernsehen fiel dann der Name von Marc. Und weil er brasilianische Wurzeln hat, passt er eben bestens in unsere Multikulti-Geschichte.

Wie war es mit ihm zu arbeiten?

Wunderbar. Er ist nicht nur ein erfolgreicher Sänger, sondern auch als Mensch ein toller Typ. Liebenswert, offen, eloquent. Ich sagte ihm, er solle einfach sich selbst bleiben. Er ist Marc Sway, der Paolo spielt. Das hat er begriffen. Eigentlich war es analog zur Situation mit Emil in «Die Schweizermacher» (1978).

Stimmt, von einem Kabarettisten erwartet man auch nicht unbedingt, dass er schauspielern kann.

Genau. Ich bin es gewohnt, so zu besetzen. Bei «Die Schweizermacher» musste ich sogar für Emil kämpfen. Denn die Kinobesitzer fanden damals, ich könne keinen Film mit Emil machen, ohne dass darin der Kabarett-Emil zum Vorschein kommt. Aber das wollte ich auf keinen Fall. Deshalb sprach ich auch immer von Emil Steinberger. Er spielte die Rolle des Sunnyboy als Kontrapunkt zu Walo Lüönds konservativem Einbürgerungsbeamten. Ich wusste, das würde funktionieren. So wie nun auch Marc Sway als Lebenskünstler Paolo funktioniert.

In deinem letzten Film «Die letzte Pointe» ging es um eine alte Dame, die sich einbildete, dement zu sein. In EDEN FÜR JEDEN nun leidet Nellys Mutter tatsächlich an Demenz. Beschäftigt dich dieses Thema?

Ja. Wenn ich wieder mal etwas vergesse, frage ich mich: Ups, beginnt es jetzt schon? Ich denke, in meinem Alter darf ich dieses Gefühl haben. Das, was wir sind, sind wir im Kopf. Und wenn das Hirn, aus was für Gründen auch immer, nicht mehr richtig funktioniert, ist das einfach nur furchtbar.